Die Orgel

Vor dem Einbau einer Orgel leiteten «Zinggenisten» und «Posaunisten» den Kirchengesang. In der Kirchenabrechnung Sigriswil erscheint 1727 erstmals ein Ausgabenposten «für das Posaunenblasen». Der Kirchengesang wurde aber bestimmt schon im 17. Jh. eingeführt und von einem Vorsänger geführt.

Im Jahr 1822 erstellte Mathias Schneider (1775-1838) aus Trubschachen, der bedeutendste einheimische Orgelbauer jener Zeit, eine erste Orgel für Sigriswil. Es war ein Werk mit 12 Registern auf dem Manual und 3 Registern im Pedal, das seinen Platz im Chor vor dem Mittelfenster fand. Diese Orgel wurde, unter Beibehaltung des alten, prachtvollen Barock-Gehäuses, von Goll in Luzern umgebaut und im Dezember 1897 «eingeweiht». Wiederum 15 Register wurden nun auf zwei Manuale und das Pedal verteilt und mit neuen Windladen versehen. Vom Schneiderschen Werk übernahm Goll 9 Register.

Aus: "DIE BERNISCHEN ORGELN" von Hans Gugger

Quelle: Gugger Hans et al.:
DIE BERNISCHEN ORGELN
Die Wiedereinführung der Orgel in den reformierten Kirchen des Kantons Bern bis 1900
Bd. 62, Bern 1978

Es sind keine 20 Jahre her, dass man das prachtvolle Gehäuse und den noch erhaltenen, wesentlichen Pfeifenbestand des nachfolgend beschriebenen Orgelwerkes dem Feuerofen übergeben hat (Dimitte illis, non enim sciunt quid faciunt).

1822 Erst wollen wir zwei frühe Sekundärquellen sprechen lassen, um die Bedeutung aufzuzeigen, die der Kirchenorgel in dieser Zeit auch in kultureller Hinsicht beigemessen wurde. Im kleinen Führer «Sigriswyl und seine Umgegend über dem rechten Ufer des Thunersees» von Lehmann, 1858 in Langnau erschienen, lesen wir im Kapitel «Unterhaltung und Zeitvertrieb:»

Bei ungünstiger Witterung ist der Kurgast auf sein Zimmer oder dasjenige seines Nachbars beschränkt. Zur geselligen Unterhaltung bietet sich da fast immer Gelegenheit dar; allein man sucht sich gerne auch auf andere Weise zu zerstreuen. Musikliebhaber finden im Pfarrhause ein gutes Piano (Auch Herr Schullehrer Joh. Amstuz an Felden besitzt ein Klavier.), und da der Herr Pfarrer selbst die edle Musik mit besonderer Liebe pflegt, so freut es vielleicht die Einen oder Andern, ihn auf der trefflichen Kirchenorgel (Dieses schöne Orgelwerk, welches an 5000 alte Franken gekostet hat, wurde zur Zeit von Fachmännern, namentlich von dem wackern Musikdirektor und Organist J. Mendel in Bern, in allen seinen Einzelheiten geprüft, und als eine vorzügliche, gelungene Arbeit anerkannt.) spielen zu hören, welche im Jahr 1822 unter meinem sel. Vater, von dem auch längst verstorbenen Mathias Schnyder von Trubschachen, erbaut und aufgestellt worden ist.

Und T. Hagenbuch schreibt in «Sigriswyl am Thunersee, Oberländische Geschichtsbilder», Aarau 1882:

Sonntags den 7. März 1819 beschloss die Gemeinde die Anschaffung einer neuen Orgel, nachdem der Einzug einer freiwilligen Steuer beinahe die Hälfte der erforderlichen 600 Pfund’ ergeben hatte. Die andere Hälfte wurde durch Holzverkauf bestritten. Auf Weihnachten 1821 stellte Orgelbauer Schnyder aus dem Trubschachen sein neues aus sechszehn Registern bestehendes Werk auf. Die Einweihung desselben, die sich zu einem Volksfest gestaltete, fand erst am 27. Oktober 1822 statt: Passend machte Pfarrer Lehmann zum Motto seiner Weiherede das Wort 2. Cor. 1, 20: Gott zu Lob durch uns. Die Besoldung des ersten Organisten Joh. Amstutz, Statthalters, wurde auf 24 Kronen festgesetzt. Dass ejucundi sunt acti labores, nach geschehener Arbeit gut ruhen ist, glauben wir dem Rechnungssteller Pfarrer Lehmann wohl, wenn wir vernehmen, was für Verdriesslichkeiten er gegen die hohe Obrigkeit durchzukämpfen hatte, welche den Holzverkauf lange nicht zugeben wollte; und das Bisschen Eitelkeit ist ihm wohl zu verzeihen, welches ihn, der ein Weniges im Malen machte, antrieb, sein eigenes Portrait auf das Schlussblatt der Orgel-Rechnung in Wasserfarben zu entwerfen.

Vom wohl berühmtesten Organisten der Schweiz in dieser Zeit, Martin Vogt von der «Kathedral Kirche Arlesheim, haben wir auf dem Stadtarchiv Bern folgendes Gutachten gefunden:

Gutachten von Martin Vogt über die Orgel in Sigriswil, von Mathias Schneider mit 12 Registern:

Die von Herrn Mathias Schnyder in der Kirche zu Sigriswyll Kantons Bern neu erbaute

Hagenbachman schreibt immerhin 1882 – hat keine Beziehung mehr zu den alten Geldsyste- men! die 150 Pfund sind absolut unrealistisch; sie lassen sich in den alten Quellen auch nirgends belegen.
Orgel wurde mir zur Untersuchung anvertraut, und fand mich nach gemachter Prüfung veranlasst folgendes zu bemerken:

Die Orgel besteht aus zwölf wohlklingenden Registern im Manual, mit 16 Fuss Principal, unter denen sich vorzüglich Prinzipal 8 Fuss wegen Kraft und reiner intonation, und Gamba & Fuss, dieses für jeden Orgelbauer schwierige Register, wegen Zartheit und Lieblichkeit auszeichnen, die übrigen im Manual befindlichen Register meistens von Zinn entsprechen vollkommen ihren Benennungen – drey Register im Pedal, nämlich 16 Fuss Contrabass, 8 Fuss Octavbass, und 8 Fuss Posaune, die durch Stärke und Fülle dem ganzen Werk Kraft verschafft.

Drey meisterhaft gearbeitete Bälge, die der Orgel so reichlichen Wind verschaffen, dass man bey allen drey aufgezogenen Bälgen mit vollem Werke bey drey Minuten mit vollen Accorden spielen kann. Jede Arbeit sowohl von Holz als Zinn in diesem Werk ist trefflich und meisterhaft bearbeitet, die Registerzüge auf den Windladen sind nicht mit Leder gefüttert, sondern gehen in Holz, dadurch wird mehr Dauerhaftigkeit erhalten, weil sich das Leder abreibt, alles beweist die tiefen Kenntnisse des Meisters im Orgelbau, und ich rechne es mir daher zur Pflicht, dem H. Schnyder das ehrenvolle Zeugniss auszustellen, dass er sich durch seine künstliche und herrliche Arbeit, nicht nur die Zufriedenheit der Gemeinde, sondern auch den ungetheilten Beyfall aller Kenner erworben habe.

Sigriswyll, den 28. Weinmonath 1822

Vogt Kirche zu Arlesheim Friedr. Lehmann, Pfr. zu Organist der Kathedral

Sigriswil Daniel am Stutz, Statthalter

Am 28. Januar 1819 stellt die Gemeinde ein Gesuch um eine Beisteuer an die Kosten von 1400 Kronen, das vom Oberamtmann von Thun unterstützt wird und vom Kirchenrat mit dem Antrag, 200 Franken zu zahlen, mit der Bemerkung weitergeleitet wird, er sei der Auffassung, Sigriswil soll das Geld besser für die Schulen verwenden, die Orgel werde den Kirchengesang nicht verbessern! Der Kleine Rat teilt am 19. Februar 1819 mit, dass 160 Franken bewilligt werden, und am 23. Oktober 1822 überweist der Kirchenrat diesen Betrag, nachdem das Oberamt Thun bestätigt hatte, dass die Orgel fertig sei und gebraucht werde. Es sind trotz dem langwierigen Procedere nicht einmal 5% und schon gar nicht die üblichen 10% der Orgelkosten.

1897 wird das Orgelwerk von Goll für 6100 Franken umgebaut und weist nun 15 Register auf (IIP).

1958 Orgelbau Genf baut eine neue Orgel mit 19 Registern (IIP 7, 8, 4).

Würdigung

Wie im Oberland damals allgemein üblich, stellte Schneider das majestätische Orgelwerk mit dem fünfteiligen Prospekt in den Chor und somit ins Blickfeld der Gemeinde. Eine gute photographische Aufnahme erlaubt uns die hier folgende kurze Beschreibung. Von den drei konvexen Türmen war der mittlere niedriger und auch schmaler und von einer Vase mit Blattgirlanden bekrönt. Das kräftige Kranzgesims und auch das weitausladende Basisgesims liefen hier an einer Berner Orgel erstmals ohne Verkröpfung nach hinten. (Ein frühes Beispiel mit dieser Gesimsform ist die Orgel des Melchior Grob in Payerne 1787, wobei dieses Element sicher auf französischen Einfluss zurückzuführen ist. Siehe dazu Gugger, Schneider S. 34f. und besonders S. 37 und 43 ff.)

Schneider hat diese Form bei der grossen Orgel im Temple du Bas in Neuenburg, die drei Jahre zuvor vollendet wurde, wohl unter dem Einfluss eines welschen Architekten zum erstenmal gebaut. Das schöne Gesprenge bestand an den Türmen aus Akanthuslaub und über den Zwischenfeldern unter dem elegant geschwungenen Gebälk aus Weinranken. Die Turmkonsolen wiesen die unter Grosshöchstetten beschriebene typische Form auf, allerdings hier mit sehr reduziertem Blattkranz. Der Verlust dieser wichtigen Anlage ist für die bernische Orgellandschaft überaus schmerzlich. (Vom sinnlos zerstörten Prospekt sollen noch Reste auf dem Kirchenestrich und in Privatbesitz vorhanden sein; der Verfasser hat es jedoch unterlassen, dieser traurigen Angelegenheit nachzugehen.) Da wir bis jetzt den Originalvertrag nicht finden konnten, lässt sich leider die ursprüngliche Disposition nicht angeben. Am ergiebigsten ist das Gutachten Vogts, doch stimmt seine Angabe der Registerzahl nicht mit den späteren, wohl weniger zuverlässigen (Hagenbuch, 16, und Erh. Sy 1900, 15) überein. Etwas überrascht ist man über Vogts Beschreibung des 16′-Prinzipals im Manual. Zum musikalischen Aspekt ist zu sagen, dass Sigriswil damals in der Person des Unterstatthalters und Schullehrers Joh. Amstutz einen weitherum bekannten Organisten hatte.

Bilder der Überresten des "sinnlos zestörten Prospektes"

Dies sind alle noch vorhandenen Elemente des alten Orgelprospekts. Anders als von Hans Gugger vermutet (siehe oben) befinden sich die Teile nicht auf dem Kirchen-, sondern auf dem Chüjerhüsi-Estrich.

Quellen

St. A., Briefwechsel von 1819-1822.

Schreiben M. Vogt auf dem Stadtarchiv. Die im Text erwähnte Sekundärlit. – Erh. Sy. 1900.

LIT.: Ad. Schaer: Sigriswil, 1929. Gugger, Schneider.

ABB.: v.L. Dpfl., Zustand vor 1958. M+G 3/1959, Disp. 1958.